Zum Ende des Rheinischen Merkurs

Der Rheinische Merkur wird abgewickelt. Hier ein Abgesang von Axel Brüggemann im Weser-Kurier. Zunächst war es nur eine Ahnung, am Montag erhärtete sich der Verdacht, und gestern wurde es dann zur Gewissheit: der Rheinische Merkur, Deutschlands größte katholische Wochenzeitung wird geschlossen. Die kirchlichen Gesellschafter ziehen sich zurück, sämtliche Mitarbeiter werden entlassen. Die ZEIT will im nächsten Jahr für die Abonnenten eine Extra-Beilage mit christlichen Themen bereitstellen.

Der Rheinische Merkur wurde 1946 in Koblenz als Blatt der Katholischen Kirche gegründet und wurde bis heute hauptsächlich von den Bistümern finanziert. Das überraschende Aus scheint mehrere Gründe zu haben: zum Einen ist es dem Rheinischen Merkur nicht gelungen, seine Auflage von über 200.000 Exemplaren zu halten – er ist ein zutiefst defizitäre Zeitung. Wichtiger aber scheint, dass sich der sogenannte „schwarze Block“ der katholischen Kirche um den Kölner Kardinal Meisner (das Bistum Köln war Hauptfinanzier) sich letztlich mit seinen erzkonservativen Plänen durchgesetzt hat. Ihm ist der Rheinische Merkur ein Dorn im Auge gewesen, seit er sich unter Chefredakteur Michael Rutz vom dogmatischen Bollwerk zum aufklärerisch-humanistischen Blatt gewandelt hat. Die Bischöfe mokierten sich über die Präsenz der ehemaligen EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann im Blatt und darüber, dass der Rheinische Merkur die Missbrauchsfälle durch die katholische Kirche kritisch begleitet hat, dem Leiter des Canisius Collegs, Klaus Mertes, Raum für Stellungnahmen gab und selbst dem Papst nahelegte, sein Schweigen zu brechen.

Die Abwicklung des Rheinischen Merkurs ist aber mehr als eine Frage um die Positionierung der katholischen Kirche. Sie stellt grundsätzliche Fragen an die deutsche Medienlandschaft. Sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Redaktion von Institutionen finanziert werden, überhaupt noch zeitgemäß? Welche Rolle spielen die Medien für die Kirche? Und: Welche Zukunft hat der Qualitätsjournalismus in Deutschland überhaupt?

Dass Kirchen sich eigene Zeitungen leisten, um ihre Botschaften zur Debatte zu stellen, ist legitim und wichtig. Und der Rheinische Merkur hat erkannt, dass ein reines Propagandablatt des Glaubens höchstens die eh Bekehrten anspricht. Also hat die Redaktion auf Grundlage der moralischen Überzeugung des Christentums begonnen, die eigene Position und die Kritik an der Kirche in das Blatt zu holen. In den letzten Jahren hat der Rheinische Merkur auf journalistische Qualität gesetzt. Junge, kritische Redakteure wurden eingestellt, im Blatt wurden Themen mit Pro und Contra debattiert, die Titel auf Themenseiten ausgeweitet, in denen gesellschaftliche Phänomene wie Familie, Armut oder soziale Gerechtigkeit diskutiert wurden. Oft umfangreicher, ausgeglichener und zurückgelehnter als in der ZEIT oder dem Spiegel. Außerdem weitete der Rheinische Merkur seinen Internetauftritt aus, Kulturredakteurin Christiane Florin entwickelte die satirische Video-Kolumne „Kulturdusche“ und öffnete das Feuilleton von Rezensionen zu Seiten für einen gesellschaftlichen Diskurs.

So hat der Rheinische Merkur sich zu einer Heimat für christliche und nicht christliche Moralisten jeder Art entwickelt. So wie er ist, würden sich viele die katholische Kirche gern vorstellen: traditionsbewusst, moralisch, aber stets offen für die Bewegungen und Gedanken der modernen Gesellschaft.

Die evangelische Kirche pflegt diese Art des Journalismus schon seit Jahren. Mit ihrer Zeitschrift Chrismon, die den großen Tageszeitungen, der FAZ, der Süddeutschen und der Wochenzeitung ZEIT beigelegt wird, erreicht sie ein Millionenpublikum. Doch während Chrismon kostenlos unter die Leute gebracht wird und hochwertigen Journalismus gar nicht erst in Konkurrenz zum Zeitungsboulevard stellt, wird der Rheinische Merkur für stattliche 3,50 Euro angeboten. Tatsächlich aber verkaufte die Zeitung nur rund 60.000 Exemplare, der Großteil der Auflage wurde kostenlos an Kirchenglieder verschickt. Dass die Bistümer nun beschlossen haben, die Zeitung nicht mehr zu subventionieren, zeigt auch, dass die katholische Kirche dem Primat des Marktes folgt und den durchaus christlichen Selbstzweck des offenen Journalismus aufgibt.

Dass der Rheinische Merkur trotz großer Interviews, kluger und fast schon überbordender Berichterstattung und brillanten Essays keine Leser fand, ist erstaunlich. Wahrscheinlich fehlte die Kundschaft innerhalb der katholischen Stammklientel, und die Leser aus kirchlicher Überzeugung sind dogmatischer als es ihre Zeitung war. Wahrscheinlich hatten aber auch nicht christliche Leser Berührungsängste mit der Publikation, die von einer kirchlichen Institution herausgegeben und finanziert wird. Vielleicht hat das Ende des Rheinischen Merkurs auch etwas mit der veränderten Zeitungslandschaft zu tun. Auf der einen Seite fordern Leser gern eine umfangreiche, in die Tiefe führende und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählende Zeitung, auf der anderen Seite scheinen sie aber immer weniger bereit zu sein, dafür auch zu bezahlen. Der Rheinische Merkur war eine Ausnahme auf dem zunehmend ästhetisch einheitlichen Markt, in dem Spiegel, Zeit und Welt am Sonntag die gleichen Geschichten in einer ähnlichen, hoch polierten, Sprach- und Bilderwelt erzählen. Der Rheinische Merkur war kantiger, sperriger, tiefer als sie. Dass er nun sang und klanglos abgewickelt wird, hat er nicht verdient – er war eine Möglichkeit, das Image der katholischen Kirche durch offene Klugheit aufzuwerten und den Journalismus zu bereichern.

„Vergelt’s Gott“, schrieb eine Redakteurin des Rheinischen Merkurs gestern an die Autoren der Zeitung, „bei aller Bitterkeit und Bestürzung, uns war die Arbeit bisher meistens ein Vergnügen, und ich glaube, das hat man unseren Seiten auch angemerkt.“ Ja, das hat man! Vergelt’s Gott!