Konzertverbot?
Eigentlich habe ich gedacht, dass Jonas Kaumann die besten Fans hat, die gegen jede Kritik streiten. Nun weiß ich: DJ Bobo hat bessere Fans! Ich habe mich in eines seiner Konzerte verirrt und darüber berichtet. Die Folge: unendlich viele Leserbriefe von “habe sehr gelacht” bis “ich kündige das Abo”. Aber wirklich interessant ist das Statement des Konzertveranstalters, der sich lustigerweise von der Kritik distanziert, obwohl wahrscheinlich selten mehr Platz für eine DJ Bobo-Debatte “geopfert” wurde. Hier die offizielle Reaktion.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit einiger Verwunderung durften wir im Weser Kurier Ihre “Nachberichterstattung” des DJ BOBO Konzerts vom 24.5.10 in der Bremen Arena lesen.
Schön, dass Sie aber im Artikel zugeben, Ihren Mitarbeiter Axel Brüggemann “genötigt” zu haben, dass Konzert für den Weser Kurier zu besuchen. Das ist so sicherlich nicht in unserem Interesse.
Wir als örtliche Veranstalter des Konzerts von DJ Bobo möchten uns deshalb in aller Deutlichkeit von dem erschienen Artikel Ihres Mitarbeiters Axel Brüggemann distanzieren, und teilen Ihnen auf diesem Wege mit, dass kostenlose Pressekarten/Freikarten für unsere Veranstaltungen generell nicht zur “Volksbelustigung” und/oder “Nötigungen” zur Verfügung stehen, und darüberhinaus auch nicht zum “privaten Gebrauch” oder für “familiäre Zwecke”, wie im vorgeschrieben Fall geschehen, “in Begleitung einer 12 jährigen Tochter” ausgegeben werden.
Die Abgabe möglicher Freikarten an Medien für unsere Veranstaltungen liegt überdies in unserem freiwilligen Ermessen und dient allein der Erbringung und Unterstützung zur objektiven, journalistischer Berichterstattung bei kulturellen Veranstaltungen, vorzugsweise durch sachkundige Redakteure und Journalisten in verantwortungsvollen, seriösen Medien. Nicht aber zum Missbrauch oder zur “Überbrückung des 2.Pfingstfeiertages, bzw. zur kostenlosen “Kinderbelustigung Minderjähriger” bei abendlichen Popkonzerten.
Wir möchten Sie daher bitten, die Auswahl Ihrer Mitarbeiter/innen zukünftlich wieder sorgfältiger und gründlicher, auch im Interesse des Publikums und auch der Künstler, vorzunehmen, damit die Öffentlichkeit hoffentlich wieder, wie gewohnt, objektiv und seriös über schöne, erfolgreiche Veranstaltungen, auch jenseits der E-Musik, informiert werden kann.
Gerne erwarten wir auch Ihre Rückäußerung dazu.
Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Paul
P.S.: Nach einem klärenden Telefonat sind Herr Paul und ich uns einig, dass es selten bessere PR für ein DJ-Bobo-Konzert gegeben hat.
Und hier noch der Text, von dem ich mich übrigens nicht distanzeiere:
Dass Sie diesen Text hier lesen müssen, ist die Schuld des Ressortleiters
dieser Seiten. Der fand es nämlich lustig, einen „Klassik-Fuzzi“ wie mich zu
einem – ja was eigentlich? – Dancefloor oder Popkonzert zu schicken, um dann
am Ende einen „allumfassenden Text“ drucken zu können. Im Ernst, das sagen
die beim „Weser Kurier“ so: „allumfassend“! Also gut, nun wissen Sie, warum
Sie sich das hier antun müssen.
Zugegeben, als besagter Ressortleiter mich angerufen hat, habe ich sofort
geantwortet: „Klaro, mache ich.“ Ich dachte, dass sich wenigstens das Kind
freuen würde, mal in ein Popkonzert zu gehen. Und eigentlich habe ich erst
richtig verstanden, worauf ich mich eingelassen habe, als Marie (12 Jahre)
entgegen meiner Erwartungen nicht aus dem Häuschen war, sondern gesagt hat:
„DJ BoBo? Ah, nee – das ist doch der, der immer so tut als würde er tanzen
können.“ Und dann hat sie noch gesagt: „Der ist ja noch älter als Du!“ Aber
sie ist trotzdem mitgekommen.
Worauf habe ich mich nur eingelassen? Jetzt, da das Konzert zu Ende ist und
ich mir irgendetwas „Allumfassendes“ aus den Fingern saugen muss, weiß ich,
dass es ein bisschen so ist, als müsste man eine philosophische Abhandlung
über die Morgentoilette verfassen.
Klar, ich könnte nun etwas über Elias Canetti schreiben, wenn ich daran
denke, wie wir eben von DJ Bobo aufgefordert wurden den rechten Arm in die
Luft zu recken, und dann den linken und dann zu klatschen – erst die Männer
und dann die Frauen. Darüber, dass mir mitten im Konzert Canettis Buch
„Masse und Macht“ eingefallen ist und der Satz über den „Befehl an die
Vielen“, die Grundkonstante des tierischen Fluchtverhaltens, die Canetti so
beschreibt: „Sie sind nicht in Panik, solange sie nicht verlassen sind,
solange jedes Tier neben jedem dasselbe tut, genau dieselben Bewegungen
vollführt.“ Aber natürlich wäre es viel zu gefährlich und politisch zu
unkorrekt Canettis Massenphilosophie auf ein DJ BoBo-Konzert anzuwenden. Und
außerdem: wen interessiert schon Elias Canetti?
Ich könnte auch etwas über das Ritualische eines DJ BoBo-Konzertes
schreiben. Etwa darüber, dass ich mir am Anfang ein bisschen vorgekommen bin
wie in einem Evangelischen Gottesdienst der 90er Jahre, als der Pastor vor
der Predigt die Gemeinde beschworen hat: „Reichen Sie Ihrem Nachbarn die
Hände, begrüßen Sie ihn – und wenn Sie ihn mögen, umarmen Sie ihn.“ Genau
das hat DJ Bobo nämlich auch gesagt. Ich habe diese Art von Gottesdiensten
nie gemocht, weil ich in der Kirche lieber zu mir selbst komme als
irgendeinem Nachbarn nahe zu sein. Nachdem mir ein neunjähriger Junge bei
BoBos Umarmungszeremonie fast seinen orangenen Leuchtstab in die Augen
gestochen hat, weiß ich nun wenigstens, dass es mir bei Popkonzerten ähnlich
geht.
Natürlich könnte ich auch ganz klassisch an die Sache herangehen und in
bester Feuilleton-Manier über den künstlerischen Wert des Konzertes
schreiben, darüber, dass DJ BoBo eigentlich gar nicht singen kann,
geschweige denn tanzen. Dass seine Musik den Elementen der rhythmischen
Archaik folgt, dass regelmäßige Bassrhythmen und eine rudimentäre
Gesangsmelodie die verinnerlichende und lyrische Seite der Musik vollkommen
ignorieren. Aber wer würde das schon verstehen? Vielleicht so: DJ BoBos
Tanzeinlagen sind ungefähr so beweglich wie eine Playmobil-Figur und
meilenweit entfernt von jedem Ballett eines anständigen städtischen
Theaters.
Ach ja, ich hätte natürlich auch etwas über die Verknüpfung von Markt und
Musik zu sagen. Etwa darüber, dass dem Konzertpublikum heute – ähnlich wie
im Kino – erst einmal eine Reihe von Werbesspots der Tour-Sponsoren
vorgespielt wird, bevor es richtig losgeht. Neben dem
Sattelschlepper-Unternehmen unter anderem auch vom „Europapark Rust“, in dem
der DJ seine Show geprobt hat. Als das Konzert bagann, sah man auch warum:
Es fand auf einem riesigen, in Ketten Geschlagenen Steropoor-Buddha statt,
so dass alles ein bisschen so aussah, als würde DJ BoBo als Marktschreier
auf der Fassade einer Freimarkts-Geisterbahn stehen.
Und natürlich könnte ich auch über viele andere allumfassende Dinge
schreiben. Etwa über die Frage, was die Menschen dazu bewegt, wie auf einer
schlechten Silvester-Party „Zicke-zacke, zicke-zacke, Heu! Heu! Heu!“ zu
schreien oder „Manamana – dibdibdibdibdidib“. Ich könnte über meine kleine
Gender-Study während des Konzertes berichten, als die Frauen „Huii“ rufen
mussten und die Männer „Jeah“ schreien sollten – und darüber, dass zu meinem
Erstaunen mehr Frauen in einem DJ BoBo-Konzert sind als Männer, die aber
leiser sind als wir. Ich könnte auch über das Mittel des Lokalpatriotismus
fabulieren und fragen, ob DJ Bobo am Vortag in Hamburg auch gesagt hat, dass
die Bremer seine Rhythmen am besten nachklatschen und dass wir nicht nur
unter den Hanseaten, sondern auf seiner ganzen Tour die begabtesten
Nachklatscher überhaupt sind. Ja, und auch das Thema soziale Verantwortung
wäre erörternswert, schließlich kümmert sich DJ BoBo um Schulen in Afrika.
Und natürlich könnte ich auch über Marie schreiben, die findet, dass es gar
nicht geht, wenn DJ Bobo versucht Raggae zu singen, oder dass ihre Helden,
Katie Melua, Aura Dione, Peter Fox und selbst der alte Haudegen Ray Charles,
den sie von mir kennt, einfach lässiger sind als der DJ, und dass sie alle
es nicht nötig haben, aus ihren Konzerten einen Kindergeburtstag für die
ewigjunge Generation Golf zu machen.
Aber über all das werde ich hier nicht schreiben. Es ist einfach so, dass
einem über DJ BoBo-Konzerte nichts Allumfassendes einfallen will. Aber Sie
wissen ja: Schuld ist der Ressortleiter!