Ist das noch mein altes Bremen?

BremenUnter dieser Überschrift hat Axel Brüggemann im Weser-Kurier einen Blick auf seine alte und neue Heimat riskiert - und zur Debatte darüber angeregt, ob die Bremer noch in der Stadt wohnen, die “draußen” als Bremen gefeiert wird. In unterschiedlichen Antworten wird die Frage nach der Bremer Identität nun diskutiert. Auf Grund vieler Anrufe und Mails hier noch einmal der Originalext aus dem “Weser Kurier”. Oben sehen Sie den original-Artikel und weiter unten die Seite mit den Leserbriefen.

Ist das mein altes Bremen?

Unser Autor ist in Bremen aufgewachsen – der besten Stadt der Welt. Dann ist er ausgezogen und nach 15 Jahren zurückgekehrt. Jetzt wundert er sich über einige Dinge, die sich verändert haben.

 

Ich bin Bremer. Das war ich auch die letzten 15 Jahre, in denen ich gar nicht in Bremen gelebt habe. In Freiburg, in Hamburg und in Berlin habe ich von meiner Heimat erzählt. Vom freidenkenden Bremen, vom anarchischen Bremen, vom kreativen Bremen. Und überall wurde ich bestätigt: „Ja, Bremen – das ist eine tolle Stadt!“

Ich war stolz darauf, dass meine Stadt draußen in der Welt ist ein Mythos ist. Ungefähr so wie das gallische Dorf in den „Asterix“-Comics: vielleicht etwas arm, aber um so stärker, unbeugsamer und charaktervoller.

Jeder wusste von Bremen zu schwärmen: Von der „hübschen, übersichtlichen Innenstadt“, von der großen Theatertradition, dem Lebensgefühl im „Viertel“ oder der Bremer Verlässlichkeit!

Nun wohne ich seit fast einem Jahr wieder in meiner alten Heimat und frage mich, welches Bremen-Bild ich in den letzten 15 Jahren gefeiert habe. Überall suche ich den alten Geist. Aber es ist schwierig geworden, ihn zu finden. Bremen hat sich verändert, ist zu einer modernen, wirtschaftsstarken Metropole geworden: Glasfassaden, Nobel-Restaurants. Die Stadt hat ihr Image poliert. Und ich frage mich, ob sie dabei auch ein bisschen ihres Mythos abgeschrubbt hat.

Ich liebe Bremen. Das alte und das neue Bremen. Aber ich bin irritiert, ob wir Bremer überhaupt noch in unserem Bremen leben oder ob wir uns mit einer Stadt abgefunden haben, die langsam ihren Charme verliert. Deshalb erlauben Sie mir sieben Einwürfe zum Zustand unserer Heimat. Sie sind Ausdruck meiner Liebe zu Bremen, seinem unverwechselbaren Geist, seiner Einzigartigkeit – sie sind aktuelle Fragen an meine verschwommene Erinnerung. Diskussionen, Tipps und Anregungen sind ausdrücklich erwünscht!

Die Schule

Meine Schulzeit in Bremen war, nun ja: typisch bremisch. Grundschule Kattenturm, Schulzentrum Obervieland, Gymnasium Huckelriede. Mehr als im Mathe- und Deutschunterricht haben wir in der Schule selbst gelernt. Zugegeben, die Bayern haben vielleicht mehr Wissen gefressen, aber wir haben fürs Leben gelernt und wurden zu Freidenkern erzogen. Als ich gegen meinen Deutschlehrer protestierte und im Unterricht Zeitung las, setzten wir uns zusammen und beschlossen, dass ich zu einem anderen Lehrer wechsle. Der war zwar nicht besser, aber meine Schule hat mit beigebracht: In Bremen nimmt man Jugendliche ernst.

Das neue Bremen ist anders. Schon der Schulwechsel unserer Tochter war ein Horror-Trip! Gute Gymnasien sind hoffnungslos überfüllt, und an der Gesamtschule fehlen die Mittel, sowohl um ein Bildungsideal umzusetzen als auch um eine Ganztagsschule mit Ganztagsprogramm zu füllen.

So viel Unterricht wie in Bremen ist in der Schulkarriere unseres Kindes noch nie ausgefallen. Und das eingeständige Lernen von früher ist weitgehend abgeschafft. Dafür sind die Klassen zu groß. Vor versammelter Elternschaft stöhnen die Pädagogen über die Kinder statt sie zu motivieren. Und am liebsten feiern sie ihr eigenes, arbeitsreiches Engagement.

Als neuer Altbremer frage ich mich: Wie kann es sein, dass in meiner Stadt die wichtigsten und besten Bildungsexperten wohnen und der Schulalltag derart notdürftig abgewickelt wird?

Das Theater

Dass ich Musikjournalist geworden bin, liegt am Theater Bremen. Das Haus von Hübner, Kresnik, Heime und Pierwoß war eines der wichtigsten, experimentellsten, sozialkritischsten und besten Häuser des Landes! Das Theater Bremen war ein Mythos, gegen dessen Tod einst ganz Deutschland demonstrierte. Heute ist es ein routinierter, unterfinanzierter Lokalbetrieb, der höchstens durch Risikomanagement, Musicalschulden und skurrile Baupläne für überregionale Aufmerksamkeit sorgt. Damals war das Theater Bremen der provokative Motor der Stadt, eine moralische Anstalt, die das Bewusstsein der Bremer anregte und prägte. Heute gibt’s hier zum großen Teil Opernhochglanz oder gestrige Schauspielprovokation.

Das Theater ist vom genialen Vorreiter zum mittelmäßigen Nachplapperer geworden. Es hat seine gesellschaftliche Relevanz verloren. Schlimmer noch: die eigene Belanglosigkeit führt dazu, dass es jetzt noch schlechter gespart werden soll. Früher war der Intendantenposten in Bremen ein Olymp, heute wird eine mittelmäßige, Seilschaften-Findungskommision eingesetzt, um einen neuen Mangelverwalter zu suchen. Das Theater Bremen, das einst das kulturelle Image der Stadt geprägt hat, wird in hübscher Belanglosigkeit abgewickelt.

Nachtleben

Sind meine Jugenderinnerungen so verschwommen, oder hat sich das Nachtleben in Bremen in den letzten 15 Jahren wirklich dramatisch verändert. Die „Lila Eule“ war dreckig aber Kult, fast jede Kneipe im Steintorviertel war ein Aufenthaltsort für die Stadt-Bohéme. Hier wurde die Nacht zum Tag gemacht. Inzwischen sind die Kneipen um Mitternacht weitgehend leer und in den Eingängen der Geschäfte versuchen die Clochards zu überwintern. Das Gastro-Zentrum hat sich verlagert. Seit einiger Zeit reihen sich an der Schlachte auf Hochglanz polierte Restaurants aus dem Einheits-Gastro-Einrichtungshaus: Ledersofas, Holztische, Glasabtrennungen. Aus einigen schaut man zwar auf die „Beck’s“ Brauerei, aber es gibt das Heimatbier nicht einmal vom Fass!

In den letzten 15 Jahren scheint Bremen beschlossen zu haben, sein Schmuddelimage ablegen zu wollen. Doch während sich in den ranzigen Kneipen die Kreativität entfaltete, haben die neuen Esstempel, die auf exquisit machen, den Charme von Schicki-Micki-„McDonald’s“-Filialen. Solche Restaurants gibt’s auch in Wuppertal, Essen und Posemuckel. Typisch Bremisch schmeckt anders! Die Bremer Kneipen, von denen ich in Freiburg, Hamburg oder Berlin geschwärmt habe, lebten nicht von der Perfektion sondern von der Eigentümlichkeit – sowohl im Ambiente als auch beim Essen selbst.

Polizei

Neulich wollten wir mit unserem „Freund und Helfer“ sprechen – wir hatten ein Problem. Es war 17 Uhr, aber die die Polizeistationen in Arbergen und Hemelingen waren bereits geschlossen. In der Polizeizentrale mussten wir dann eine Dreiviertel Stunde warten, bis wir endlich angehört wurden. „Personalmangel“, hieß es.

Meine Stadt hat seit Jahren eine der höchsten Einbruchsraten der Republik! Kein Wunder, wenn Polizeistellen vor 17 Uhr geschlossen werden. Oder hat die Kriminalitätsrate etwa noch einen anderen Grund? Früher haben sich sogar die Einbrecher mit ihrer Stadt solidarisiert, weil sie sich hier wohlfühlten. Heute knacken sie hemmungslos die Türschlösser ihrer Nachbarn auf. Vielleicht auch weil mein Bremen ein Stück anonymer geworden ist.

Radio Bremen

Radikaler als Radio Bremen hat kein Radio- und Fernsehsender die Medienlandschaft der 70er und 80er Jahre verändert. Hape Kerkeling und Margarehte Schreinemakers haben bei uns ihre Karriere begonnen. Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat hier aufgenommen, als er noch nicht bekannt war, und Bremen war ein Mekka für Neue Musik. Im Fernsehen sorgten Bremer Formate für Aufsehen: „Butten un Binnen“ hat das Regionalmagazins neu erfunden: bissig, ironisch, spielerisch – unterhaltsam. „Radio Bremen“ war bekannt für Investigation, brillante Interviews und das „menschelnde“ Etwas.

Und heute? Der Radio-Klassik-Bereich ist fast vollends weggespart, „Buten un Binnen“ ist eine nette Vorabendsendung geworden, die ähnlich aber auch auf RTL läuft, und selbst bei „3nach9“ sind schon lange keine Wassergläser mehr geflogen. Stattdessen kämpft das Erfolgsformat hilflos darum, überhaupt noch Moderatoren zu finden.

Das Bremen, das ich verlassen habe, war die Hansestadt der kreativen Journalisten. Musiker und Talkgäste pilgerten nach Bremen, weil sie hier sagen konnten, was sie anderenorts nicht einmal dachten durften. Weil die Medien in Bremen jeder anderen Idee Gehör schenkten: sie haben zugehört, provoziert und unterhalten. Heute schwimmen sie zum großen Teil im wohliluminierten Mainstream mit.

Die Diskussion

In meinem alten Bremen existierten selbst die größten Gegensätze friedlich miteinander. Auf einer Wahlreise in die Stadthalle wurde Helmut Kohl von den „Marx-Bremern“ mit „Mao-am!“-Rufen empfangen, gleichzeitig wurde Bernd Neumann als hoffnungsloser Bürgermeister-Kandidat gefeiert und für sein Engagement mit einem Staatssekretär-Job in der CDU belohnt. In Bremen konnten Sozis und Konservative Karriere machen – weil sie miteinander um die richtigen Konzepte streiten mussten.

Natürlich ging der Oberneulander auch ins „Viertel“ um das Wilde zu erleben und der Punker spazierte am Sonntag ganz spießig durch den Bürgerpark. Die Arbeiter von „AG-Weser“ und „Daimler“ schätzten ihre Arbeitgeber – und umgekehrt war es ebenso. Bremen war eine Stadt, in der Streit nicht Feindschaft bedeutete sondern Interesse am Anderen, Verständnis für unterschiedliche Lebensmodelle. Denn letztlich war klar, dass Bremen nur die Gesamtheit aller Bremer ist.

Heute wird in Bremen wenig diskutiert. Bürgermeister und Politiker reden die Stadt schön, statt ihre Schwächen zu beheben. Irgendwie scheint es, als würden sich viele Bremer selbst genügen. Sie ziehen sich in ihre Nischen zurück und entfremden sich voneinander. Vielleicht merken sie das selbst, denn der stolze Blick nach draußen ist ebenfalls selten geworden.

Werder Bremen

Als Kind saß ich in der Ostkurve. Die Werder-Fans waren fair aber energisch. Die Gäste reisten in einen Hexenkessel – und liebten es. Einmal hat mir Sepp Maier fast die Hand gegeben, als er einen Ball hinter dem Tor holte. Unser Geschrei hat ihn angestachelt. Unsere Sprechchöre waren witzig, und dauernd wurde die Mannschaft angefeuert. Manchmal klatschten wir sogar für einen genialen Trick er Gegner. Wir waren Bremer, konnten uns das erlauben!

„Werde Bremen“ ist vielleicht eine der großen Instanzen in Bremen, die sich kaum geändert haben: die Treue zu Trainern und Spielern gehören zum Programm. Und trotzdem: Wenn ich heute im Stadion sitze, ist alles irgendwie anders. Manchmal scheinen die Fans einzuschlafen, es herrscht Totenstille am Weserbogen. Wenn Werder ein Tor schießt, klatscht man seinen Nachbarn routiniert ab. Ist das norddeutscher Jubel? In meinem alten Bremen haben die Hanseaten im Weserstadion gezeigt, dass sie Stimmungskanonen sein können. Heute kommt einem ein Werder-Spiel eher wie ein Gottesdienst vor: mit kollektiver Fan-Andacht. Ja, inzwischen werden die eigenen Spieler sogar ausgepfiffen. Liegt es vielleicht auch an der routinierten Werder-Stimmung, dass unser Verein auswärts stärker ist als zu Hause an der Weser?

Fazit

WKLesIch bin Bremer. Ich war es und will es bleiben. Weil ich glaube, dass der Bremer anders ist als Leute aus anderen Städten. Um so irritierender ist es für mich, dass mein Bremen immer mehr wird wie jede andere Stadt auch. Ich frage mich: Was ist denn nun das echte Bremen? Das Bremen meiner schwelgerischen Erinnerung oder das, in dem ich lebe?

Seit ich hier bin, werden in Bremen Debatten um die Außenwirkung der Stadt geführt. Bündnisse wie „Bremen kommt“ wollen für ein besseres Image unserer Heimat in Deutschland und der Welt sorgen. Dabei wird außerhalb Bremens hauptsächlich von unserer Stadt geschwärmt. Doch die fremden Bremen-Fans feiern ein ähnliches Bild wie ich. In ihren Vorstellungen ist die Hansestadt noch immer freier, kreativer und unangepasster als andere Städte. Für sie ist Bremen eben besonders. Ich finde, dass wir dieses Stück wieder viel mehr leben sollten!